Was sind Märkte und wieso kann man sie designen?

Bei Wikipedia wird der Begriff Markt als „meist zentraler Platz“ definiert, „an dem Waren regelmäßig gehandelt werden.“ Der Präsenzmarkt – von der altgriechischen Agora bis zum heutigen Wochenmarkt – ist so stark in unserer Vorstellung verankert, dass die Annahme einer festen Einrichtung allgegenwärtig ist. Auch wenn jedem bewusst ist, dass der Ort eines Marktes auch virtuell sein kann, gilt: der Markt ist schon da, wenn ich ihn als Anbieter oder Nachfrager betrete.

Und das stimmt nur eingeschränkt. Märkte werden gemacht: Wo immer es eine Nachfrage nach oder ein Angebot für etwas gibt, entsteht ein Markt.

Es gibt verschiedene Theorien zur Entstehung von Märkten.

Der bekannteste ist der neoklassische Ansatz, der die Marktmechanismen anhand individueller Optimierungen erklärt: Konsumenten maximieren ihren Nutzen, woraus sich eine Nachfragekurve ergibt, Unternehmen maximieren ihren Gewinn, woraus sich eine Angebotskurve ergibt. Der Gleichgewichtspreis im Schnittpunkt von Angebots- und Nachfragekurve koordiniert den Marktmechanismus. Der Wert eines Gutes erklärt sich aus seinem Grenznutzen, also dem Zusatznutzen, den eine marginale Erhöhung der Menge eines Gutes stiften würde und seinen Grenzkosten, also den Kosten der Produktion einer zusätzlichen Mengeneinheit.

Eine andere Erklärung der Entstehung und Unterscheidung von Märkten liefert der amerikanische Wirtschaftssoziologe Harrison C. White. Demnach beobachten Unternehmen die Entscheidungen der Wettbewerber und leiten daraus ihre eigene Position im Markt ab. Sie sehen alle Konkurrenzaktivitäten als Signale. Ihre Reaktionen kommen wiederum beim Wettbewerb als Signale an, was die Märkte permanent reproduziert. Im Mittelpunkt der Marktkonstruktion steht der Diskurs, verstanden als Austausch von Geschichten. Durch ihre Positionierung geben Unternehmen anderen Informationen darüber, wie sie sich selbst sehen. Storytelling konstituiert also Verbindungen zwischen Akteuren, aus diskursiven Netzwerken entstehen Märkte. Je größer der Interpretationsspielraum in einem Markt, umso entscheidender der narrative Wettbewerb.

Ergänzt wird der White-Ansatz durch die Arbeiten von Luc Boltanski und Laurent Thévenot. Deren Kerngedanke ist, dass es Konventionen gibt, die sich im Laufe der Zeit institutionalisiert haben und die Handlungen der Marktakteure koordinieren. Es werden also nicht nur Geschichten ausgetauscht, sondern es wird auch nach den Konventionen evaluiert.

Der dritte hier kurz zu erläuternde Erklärungsansatz zur Entstehung von Märkten stammt von dem amerikanischen Spieltheoretiker Alvin E. Roth. Ihm geht es darum, funktionierende Märkte zur Lösung von Problemen zu entwerfen. Eine besondere Herausforderung stellen Angebots-Nachfrage-Konstellationen dar, bei denen Preise als Koordinierungsinstrumente keine Rolle spielen sollen bzw. dürfen, sogenannte Matching-Märkte. Die Harvard University etwa möchte die talentiertesten Studenten haben (weil das ihren Ruf begründet): über den Preis (z.B. durch eine Auktion der knappen Studienplätze) ist das nicht zu erreichen. Auch für Spendernieren gibt es einen Markt, der allerdings nicht über den Preis koordiniert werden kann, weil Organhandel verboten ist.   

Märkte so zu organisieren, dass die strategischen Entscheidungen der Akteure mit gesellschaftlich wünschenswerten Zielen harmonieren, ist das, was Roth interessiert und was er Market Design nennt. Ein funktionierender Markt zeichnet sich aus durch

- eine ausreichende Dichte, also genügend Marktteilnehmer: hier ist u.a. die zeitliche   Koordinierung der Transaktionen angesprochen

- die Vermeidung von Überlastung: Marktakteure sollen in die Lage versetzt werden, ihre Optionen zu prüfen und ihren Präferenzen zu folgen.

Auch wenn ich hier klassische (also zumindest teilweise über den Preis gesteuerte) Märkte in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen möchte, zeigt die Beschäftigung mit „Market Design“, dass Märkte grundsätzlich nach bestimmten Regeln funktionieren.

An dieser Stelle sei noch auf eine wichtige Unterscheidung hingewiesen: Verkäufer- und Käufermarkt. Wenn ein Produkt nur einmal existiert (z.B. ein Gemälde van Goghs), würde theoretisch bereits die Nachfrage von zwei Interessenten einen Verkäufermarkt begründen. In Verkäufermärkten ist das Angebot kleiner als die Nachfrage, mit der Folge, dass der Hersteller des knappen Gutes entscheiden kann, an wen er verkauft, was im Zweifel derjenige sein wird, der den höchsten Preis zu zahlen bereit ist. Eine interessante Frage ist, was ein Angebot begehrlich macht - die Knappheit allein ist es sicher nicht!

Stagniert in einem Markt die Nachfrage bei wachsendem Angebot, so können die Kaufinteressenten wählen, welches Produkt sie bei welchem Anbieter erwerben wollen. In einem Käufermarkt verschieben sich die Machtverhältnisse in Richtung der Nachfrage, was die Anbieter zwingt, sich an deren Wünschen zu orientieren. Marketing liefert die konzeptionellen Grundlagen und das operative Instrumentarium einer vom Markt ausgehenden Unternehmensführung.

Halten wir fest: Märkte sind nicht, sie werden! Und sobald uns klar geworden ist, wie Marktregeln zu verstehen sind und wer sie wie beeinflusst, steht uns ein starkes Instrument zur Verfügung, unsere eigene Position im Markt zu stärken.