Was sind Singularitätsmärkte?

Märkte für Kunstwerke, Haute Cuisine-Produkte, Filme, Musikaufnahmen, Luxusgüter, Bücher, Reisen, bestimmte handgefertigte Artikel, freiberufliche Dienstleistungen und besondere Expertisen bezeichnet der französische Soziologe Lucien Karpik als Singularitätsmärkte. Das Besondere an singulären Produkten ist ihre Mehrdimensionalität, Unvergleichbarkeit und eine zwingend damit verbundene Ungewissheit. Singuläre Güter leben von ihrem Symbolcharakter und ihren Interpretationsmöglichkeiten.

Damit sich für derartige Produkte überhaupt ein Markt bilden kann, bedarf es so genannter Koordinationsregime, die durch Urteilskraft und Vertrauen den Mangel an Bewertbarkeit, Vergleichbarkeit und Sicherheit kompensieren.

Während Märkte für standardisierte oder differenzierte Produkte durch Information, Kalkül und Entscheidungen charakterisiert sind, zeichnen den Markt für singuläre Güter Kenntnis, Qualitätskriterien und Urteile aus. Smartphones etwa kann man anhand ihrer separat ausgewiesenen qualitativen Merkmale gut miteinander vergleichen. Abhängig von den eigenen Nutzenerwartungen und der Preisbereitschaft fällt es nicht sonderlich schwer, Tradeoffs vorzunehmen und so eine begründete und abgesicherte Entscheidung zu treffen. Kunstwerke lassen sich dagegen nicht in ihre qualitativen Komponenten zerlegen, die man dem Preis als Entscheidungsgrundlage gegenüberstellen könnte: Sie sind einzigartig und unteilbar. Hinzu kommt die Unsicherheit über ihren Wert. An die Stelle der ‚objektiven‘ Entscheidungen treten ‚subjektive‘ Urteile.

Instanzen der Urteilsbildung sind laut Karpik Netzwerke, Kennzeichnungen, Ratgeber etc.

Koordinationsregime wirken als Entscheidungshilfen, vorausgesetzt die Marktakteure haben sich, quasi stillschweigend, auf die entsprechende soziale Instanz verständigt. Einem Museumsdirektor z.B. wird die institutionelle Autorität zugeschrieben, den künstlerischen Wert eines Kunstwerkes einschätzen zu können. Seine Authentifizierung liefert dann die Basis des Transaktionsvorgangs und ergänzt das Gesetz von Angebot und Nachfrage.

Es gilt festzuhalten:

Einen Schritt weiter geht der deutsche Soziologe Andreas Reckwitz, indem er nicht das Produkt, sondern das Individuum in den Mittelpunkt der Singularisierung stellt. Produkte sind Symbole der Singularität ihrer Besitzer, erst jene weisen Produkten einen Charakter des Singulären zu.

Singularitäten sind nicht „subjektiv oder objektiv vorhanden, sondern durch und durch sozial fabriziert: über soziale Praktiken der Wahrnehmung, des Bewertens, der Produktion und der Aneignung.“ Gütern und Dienstleistungen werden Werte beigemessen, sie erhalten eine narrativ-hermeneutische Dimension.

„Im Modus der Singularisierung wird das Leben nicht einfach gelebt, es wird kuratiert.“

Ein Schlüsselprozess der Spätmoderne ist die Valorisierung, da die Erfahrung von Singularität zwangsläufig mit kultureller Auf- und Abwertung verbunden ist. In Likes und Votings, in Ratings und Rankings wird laufend bewertet – von Kulturautoritäten ebenso wie von den spätmodernen Subjekten selbst. Valorisierung und Affizierung sind engstens miteinander verbunden, sie sind „strukturbildende Bestandteile der Zirkulationssphäre der Kultur und ihrer sozialen Logik der Singularitäten: Was wertvoll und besonders erscheint, wirkt affizierend, weil es wertvoll und besonders ist. Und was erheblich affiziert, scheint wertvoll und besonders, weil es so stark affiziert.“

Halten wir fest: